Quadratisch, praktisch, nicht gut?

Abb.1 Archiv der Modeschule Hetzendorf , Entwurf Tageskleidung, 1965/66

„Vor allem Indientücher, um Hals, Stirn und Kopf gebunden, galten als Symbol der Befreiung vom kleinbürgerlichen Mief der 1950er-Jahre, ebenso waren sie ein Signal der Öffnung hin zu anderen Kulturen. Das Kopftuch wurde damals [in den 1960er und 1970er Jahren, M.K.] frei von jeglicher religiösen und politischen Bedeutung eingesetzt, frech, witzig, theatralisch und pragmatisch.“ (Gaier/Sauer, S. 15) Was, so kann man sich fragen, ist passiert, dass mit dem neuen Jahrtausend dieses modische Accessoire zu einem Symbol transformiert wurde, welches die Bevölkerung eines Staates dermaßen zu spalten vermag, dass sich politisch Agierende dazu veranlasst sehen, Kopftuchverbote zum Schutze von Mädchen im Volkschulalter zu erlassen? 

Das von Birgit Sauer, Asiye Sel und Ingrid Moritz in Wien im Jahr 2020 im ÖGB-Verlag herausgegebene Buch Körperbilder, Körpersymbole und Bekleidungsvorschriften. Zur Repräsentation von Frauen in Werbung, Medien und Sport stellt sich mit dreizehn Artikeln dieser gesellschaftspolitischen Anfrage. Anlass zu dem Sammelband gab eine Tagung im Jahr 2018 in der Arbeiterkammer in Wien zur politischen Instrumentalisierung des Kopftuches. Der Sammelband erweitert diese Debatte und bettet das nunmehr als muslimisch definierte Kleidungsstück ein in einen Diskurs um Körperbilder, Körpersymbole und Bekleidungsvorschriften, welche oftmals „disziplinierend in das Leben von Frauen“ (Sauer/Sel/Moritz, S. 10) eingreifen. 

Beispiele solcher Disziplinierungen finden sich unter anderem in Kleidervorschriften von Sportlerinnen. Diese Vorschriften orientieren sich vielfach nicht an den sportlichen Erfordernissen, sondern an einer „das Äußere fokussierende[n] mediale[n] Berichterstattung“ (Götz, S. 103). Oftmals geht diese einher mit einer Sexualisierung von Frauen im Leistungssport (ausgedrückt auch durch den Begriff „Sporno“ – einer Verbindung von Sport und Porno) und verdrängt deren sportliche Leistung. Einem anderen Aspekt der Fokussierung auf körperliches Aussehen widmet sich Elisabeth Lechner unter dem Begriff Lookismus. Am Beispiel Fat Shaming demonstriert sie die Komplexität der Diskriminierung und Stereotypisierung „nicht normschöner Menschen“ (Lechner, S. 21) in medialer Repräsentanz. Gleichzeitig zeigt sie abseits schwieriger legistischer Zuordnung (da Lookismus sich in verschiedenen Rechtskategorien wie Alter, Geschlecht, Behinderung usw. zeigen kann) Möglichkeiten einer Eindämmung lookistischer Diskriminierung. Die Ambivalenz bezüglich emanzipatorischer Bestrebungen in der so genannten Frauenpresse beleuchtet Karine Taveaux-Grandpierre am Beispiel ELLE. Die Zeitschrift unterstützt seit ihrem ersten Erscheinen 1945 bis ins 21. Jahrhundert hinein in ihren Publikationen und Aktivitäten vielfach die Emanzipationsbestrebungen von Frauen. Jedoch bestärkt sie dabei vor allem urbane, vielfach konservativ geprägte Frauen, was wiederum herrschende Exklusionsmechanismen weiterführt, wie die Autorin am Beispiel der Mode demonstriert. (Taveaux-Grandpierre spricht in dem Zusammenhang von der „Logik eines konservativen Feminismus“, S. 57) 

Der Großteil der Aufsätze kreist um das Thema Kopftuch und deren Trägerinnen. Die Annäherung erfolgt über die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen –Kommunikations-, Politik- und Rechtswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Gender Studies und Pädagogik, Wirtschaft und Medienanalyse. Die Artikel sind durchwegs fundiert aufbereitet, teilweise fordernd und zeigen verschiedenste Aspekte einer Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch auf. So führt Meltem Kulaçatan ausgehend von der These „Rassismus ist im Plural zu denken“ (S. 201) die Kopftuchdebatte mit theoretischen Diskussionen rund um Rassismus, Islam- und Frauenfeindlichkeit zusammen. Erfahrungsberichte kopftuchtragender Musliminnen und die Auswirkung auf ihre Berufswahl werden ebenfalls zur Kenntnis gebracht, wie zum Beispiel empirische Analysen von Kommentaren eines User*innen Forums zum Artikel: Kopftuch im Job. Das „Stück Stoff“, das Türen verschließt, in einer österreichischen Tageszeitung. Ebenfalls diskutiert wird das Tragen des muslimischen Kopftuches im Zusammenhang von allgemeinen Bekleidungsvorschriften unterschiedlichster Berufe, insbesondere bei sensiblen Berufsgruppen wie Richter*innen oder Pädagog*innen und Erzieher*innen, von denen mehrheitlich ein neutrales Auftreten gewünscht bzw. gefordert wird. 

Viele Beiträge beschäftigen sich mit Diskriminierungen in sozialen Medien und Netzwerken wie Facebook bzw. Instagram oder in der Werbung von gängigen Printmedien. Als Grundlagen bei der Thesenbildung werden Anleihen bei Aristoteles genauso genommen wie bei Foucault oder Butler.

Das Layout ist erfrischend. Die Bebilderung – alles Grafiken aus dem Archiv der Modeschule Hetzendorf – zeigt einen spielerischen Umgang mit dem Thema Kopfbedeckung und Verschleierung. Obwohl die Grafiken aus den 1960er-1970er Jahren stammen, ist es gelungen, ihre Bildaussagen mit dem Themenschwerpunkt der Beiträge zu verbinden. Gleichzeitig vermitteln die kreativen Entwürfe eine Vielzahl an möglichen Kopfbedeckungen, die der oftmals medial sehr einseitig geführten „Kopftuchdebatte“ ein wohltuendes Gegengewicht verschaffen. Eine solch verengte Debatte schließt unter anderem hochgebildete Migrantinnen in der medialen Berichterstattung in Österreich aus, wie Natalie Rodax und Katharina Hametner in ihrem Beitrag aufzeigen. (S. 221) 

Der Sammelband verhilft zum besseren Verstehen gesellschaftspolitischer Abläufe und deren Mechanismen beim Entstehen von Stereotypen. Er bringt Klarheit und Struktur in eine oftmals ideologisch auf Kosten von Frauen verhärtete Debatte und kann damit, so eine bescheidene Hoffnung, zu einem besseren Miteinander unterschiedlicher Kulturen führen. Und dem Kopftuch ist zu wünschen, dass es sich wieder einordnet in das kreative Spiel der Mode, als ästhetisches Accessoire abseits ideologischer Verbrämung. 

Abb. 2, Cover Körperbilder, Körpersymbole und Bekleidungsvorschriften

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